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07 Nov 2022

Mission im Spannungsfeld von Erfolg und Ernüchterung

Bewusst oder unbewusst bewundern wir Erfolg und fühlen uns zu dem hingezogen, was schön, stark und überzeugend daherkommt.

Gottvertrauen sollte bekanntlich nicht von äusseren Umständen abhängen. Auch nicht in der Mission. Trotzdem merke ich, wie schnell mein Gottvertrauen angesichts von Leid, Not und Versagen in der Mission nachzulassen droht. Es fühlt sich dann an, als ob die Dunkelheit überhandnimmt. Das Buch «Weites Herz» von Jean Vanier, dem Gründer der christlichen Gemeinschaft «die Arche», in der Menschen mit und ohne Behinderung zusammen leben, war ein wohltuender Vertrauens-boost für mich.  

Ausgehend vom biblischen Petrus plädiert Jean Vanier dafür, Schwachheit, Not und Unzulänglichkeit zu umarmen. Letztere sind kein Hindernis, sondern Teil des christlichen Lebens.

Annahme: Gott steht für Stärke, Sieg und Erfolg
Dem starken und mutigen Petrus fällt es schwer, mit Schwäche, Not und Unzulänglichkeit umzugehen. Es scheint, dass es dies für ihn gar nicht geben darf. Als Jesus seine Jünger auf das vorbereitet, was ihn in Jerusalem erwartet, unterbricht ihn Petrus sofort und sagt: Niemals, auf keinen Fall darf so etwas mit dir geschehen (Matt 16,21-22). Später wird Jesus vom Hohen Rat verhört und Petrus wärmt sich draussen am Feuer. Für Petrus kommt es nicht in Frage, mit dem angeklagten «Verlierer-Jesus» assoziiert zu werden. So behauptet er dreist: Ich kenne diesen Menschen nicht (Matt 26,69-74).

Petrus scheint diesen Menschen ‘Jesus’ tatsächlich nicht zu kennen – oder, besser gesagt, nicht zu erkennen. Er erkennt diesen schwachen, abgeschlagenen Mann nicht. Dieser Jesus ist nicht der gleiche, der zuvor mit Autorität sprach und Wunder wirkte und zu dem er sich hingezogen fühlte. Heilungen, Brotvermehrungen, die Verklärung, auch die Begeisterung der Volksmenge sind verblasst. Petrus beginnt zu zweifeln. Mit dieser Schwachheit und Unzulänglichkeit kann er nichts anfangen.

Noch weiss Petrus nicht, dass Jesus nicht bloss durch seine Worte und Handlungen Leben schenkt, sondern ganz besonders durch das liebende Opfern seines Lebens. Petrus ist es noch verborgen, dass nicht diejenigen die Gesegneten sind, die ‘religiös’ Erfolg haben, sondern diejenigen, die inmitten von Schwäche, Not und Unzulänglichkeit noch immer vertrauen.

Erfahrung: Schwäche, Not und Unzulänglichkeit gehört zur Mission
Auch wenn wir mit MissionPlus immer wieder Erfreuliches erleben (und das darf ich mit Nachdruck sagen😊), so ist es dennoch so, dass auch wir immer wieder mit Ernüchterung konfrontiert sind. Zum einen fordern uns die geopolitischen Zustände heraus: Zwei Millionen Binnenflüchtlinge in Burkina Faso, 900 jihadistische Attacken im ersten Halbjahr 2022. Anhaltende politische Krise in Kamerun und Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Global zunehmende Armut durch stark angestiegene Nahrungsmittelpreise. Terroristisch bedingte Reisebeschränkungen. Keine Pax Romana Zustände, wie damals im 3. Jahrhundert, die zur Verbreitung des christlichen Glaubens beitrugen.

Komplex wird es, wenn Herausforderungen nicht von aussen kommen, sondern von innen. Kürzlich kam an einer Missionskonferenz für Pastoren in einem unserer Partnerländer frappant zum Vorschein, wie stark Werteverständnisse auseinanderklaffen können. Die prestigeträchtigen Konferenz-Werbeplakate im XXL-Format auf den Zufahrtsstrassen zeigten die Köpfe der Kirchen-Leitungsriege und machten keinen Hehl aus der ausgeprägt pyramidalen Führungsstruktur. Nicht minder gewöhnungsbedürftig war die Aussage: „Ihr von MissionPlus bringt das Geld und wir stellen die Missionare“. Und denke ich an den Sommereinsatz in Tunesien, dann war auch dieser von Widrigkeiten geprägt: Kurzer Spitalaufenthalt für zwei Personen, sprachliche Herausforderungen mit Französisch und Arabisch, Magen-Darm-Beschwerden, organisatorische Hürden, tropische Hitze… um nur einige der ‘stretching experiences’ zu nennen.

Beobachtung: Selbst in Widrigkeiten ist Gott zuhause
Es wäre müssig, und gegenüber Leidtragenden auch nicht fair, leichtsinnig auf den grossen Segen von Widrigkeiten hinzuweisen. Verfolgung zu erleben ist meist traumatisch und auf die eigenen Unzulänglichkeiten zu stossen ist schmerzhaft. Auch die Tendenz, Schwäche, Not und Unzulänglichkeit per se als Sprungbrett zu persönlicher Erfüllung zu verstehen, wäre danebengegriffen.

Trotz allem ist es geheimnisvoll oder schlicht einfach Gnade, dass viele der Tunesien Einsatzteilnehmenden in all den Herausforderungen ein tieferes Verständnis von Gott und der Welt erlangt haben, das sie nicht missen möchten.  «Ich durfte feststellen, wie Gott nicht nur zu anderen spricht, sondern auch zu mir persönlich», «Gott hat mir in den Herausforderungen des Einsatzes gezeigt, wie resistent und beständig ich bin», «Ich habe gelernt, wie ich Ergänzung brauche».

Von unseren Partnern in Burkina Faso hören wir, wie trotz der äusserst schwierigen Umstände (knapp die Hälfte des Landes ist nicht mehr unter Kontrolle der Regierung und etliche Spitäler, Schulen und Polizeistationen wurden geschlossen) Menschen nach Gott fragen und Gemeinden gegründet werden.

Mein Fazit
Auf der persönlichen Ebene stelle ich fest, wie Schwäche, Not und Unzulänglichkeit einen Prozess in mir anstossen. Ich realisiere, wie bruchstückhaft mein Wissen – ja, selbst mein Glaube – ist und wie sehr ich auf Gemeinschaft angewiesen bin. Die Erkenntnis steigt, wo ich durch Manipulation oder gar Machtausübung versucht habe, anderen meine Sicht überzustülpen und mir dämmert, wie schnell ich im (Ver-)Urteilen bin.

Besonders wertvoll ist, wenn uns Gott im Dunkeln der Widrigkeit begegnet und wir feststellen dürfen, dass er in unserer Zerbrechlichkeit zuhause ist. Das sind Momente, in denen uns Gott in eine neue Freiheit führt, Momente, die uns helfen, uns der Wirklichkeit zu stellen. Wie Petrus dürfen dann auch wir feststellen, dass die Gesegneten diejenigen sind, die inmitten von Schwäche, Not und Unzulänglichkeit noch immer vertrauen.

Ich freue mich an der «Missionsarbeit». Das ist ‘real life’ und darin begegne ich Gott!